Der Tod. Eigentlich die natürlichste Sache der Welt, und doch bleibt er das größte Tabu unserer Zeit. Wir alle wissen, dass wir sterben werden – es betrifft wirklich jeden, vom Politiker bis zum Influencer – und doch scheint kaum jemand das Thema ernst zu nehmen. Wir überlassen das Sterben lieber denen, die akut betroffen sind, oder denen, die „dafür trainiert“ sind, als ob nur diese wenigen Menschen die Last des Todes für uns alle zu tragen hätten. Doch während wir weiterhin die Augen verschließen und so tun, als würde das Sterben nur andere betreffen, könnte bald jemand anderes das übernehmen, womit wir als Gesellschaft einfach nicht fertig werden: Roboter, KI, digitale Avatare.
Einleitung
Vielleicht sollte uns das erschrecken. Vielleicht sogar erschrecken. Aber ehrlich gesagt, ich kann es kaum erwarten. Denn wenn ich sehe, wie teilnahmslos, flüchtig und desinteressiert wir als Gesellschaft mit dem Sterben umgehen, wie einsam und verlassen viele Sterbende sind, dann kann es ein Computerprogramm kaum schlechter machen. Unsere Sehnsucht, den Tod zu verdrängen, hat uns taub und blind gemacht für das, worauf es wirklich ankommt: eine würdevolle letzte Reise zu gestalten. Und das Leben als endlich zu sehen. Irgendwann wird die Selbstoptimierung nicht mehr funktionieren. Und vielleicht wird uns eine KI das bewusst machen.
Es werden bereits Avatare und KI-gestützte Chatbots entwickelt, die die Rolle eines Trauerbegleiters übernehmen. Genau das: Digitale Programme, die in einer Art ewiger Geduld da sind, Erinnerungen festhalten, Gespräche simulieren und trauernden Hinterbliebenen zuhören. Empathie „nachgeahmt“ – klingt das schlecht? Mag sein. Aber es scheint besser zu sein, als wenn ein Trauernder allein dasteht und von einem Menschen nur einen müden Händedruck erhält.
Wer das für eine Dystopie hält, hat das Wesentliche noch nicht begriffen. Für die meisten von uns ist die Bewältigung des Todes ein einmaliger Schock. Es passiert, wenn ein nahestehender Mensch stirbt oder eine Diagnose das Leben verändert. Plötzlich wird uns klar, dass wir die letzten Worte, die letzten Momente nicht geplant, bedacht oder erdacht haben. Der Tod wird erst dann zum Thema, wenn er anklopft. Viel zu spät, um den Weg wirklich zu gestalten. Und genau hier könnten KI und Avatare eine Brücke schlagen, die uns vielleicht unangenehm ist, die aber der Menschheit auf ganz neue Weise ein Zuhause geben könnte.
Wir müssen den Zeitpunkt des Todes so gestalten, wie wir unsere Lebenszeit gestalten. Und wir müssen KI eindeutig in beides einbeziehen.
Mirko Klos
Künstliche Intelligenz in der Sterbebegleitung: Brauchen wir sie?
Ja. Denn die Realität der heutigen Hospizarbeit ist oft ein Spiegelbild unserer Gesellschaft: Wir erwarten, dass andere für uns einspringen und sich um „die Sterbenden“ kümmern. Selbst in Hospizen bleibt oft nicht genug Zeit, um jedem Einzelnen wirklich gerecht zu werden. Und wir sprechen von Menschen, die sich oft in den letzten Tagen ihres Lebens befinden. Sie verdienen mehr als ein Pflichtprogramm, sie verdienen Aufmerksamkeit, Zuwendung – kurzum: echtes Interesse. Doch für viele bleibt der Tod ein Geschäft. Es gibt das standardisierte Hospizprogramm, und dann gibt es das übliche „es tut uns leid“ und „mein herzliches Beileid“ – Phrasen, die so austauschbar und hohl klingen, dass sie es bleiben.
KI kann hier mehr tun. KI braucht keine Worte, um sich gut zu präsentieren, sondern gibt Antworten, die einfach zu einer angenehmen Interaktion führen sollten. Auch wenn man sich in dieser neuen Gesellschaft nach menschlicher Wärme sehnt – im Vergleich zu einem unangenehmen, starren Gespräch ist die neutrale Stimme der KI vielleicht sogar die bessere Wahl.
Vielleicht brauchen wir als Gesellschaft einfach nur einen digitalen Schubs in die richtige Richtung, um den Sterbenden das zu geben, was sie brauchen: Würde, Gelassenheit, Authentizität. An diesem Punkt kann die KI beginnen, unsere Arbeit für uns zu erledigen. Ein intelligenter Algorithmus, der lernt, was beruhigend ist, wann es angebracht ist, zu schweigen, und der ohne Zeitdruck zuhören kann. Und ja – es geht nicht um Mitleid, sondern um Empathie und Respekt. Und vielleicht ist eine einfühlsame KI besser als eine Gesellschaft, die sich nie getraut hat, wirklich hinzusehen.
Die Zukunft der Pflege am Lebensende und das Potenzial der KI
Wenn wir an die Zukunft denken, könnte „Hospiz 4.0“ viel freier und respektvoller sein, als wir es uns in unserem starren System heute vorstellen können. Unsere Avatare könnten über das ganze Land verteilt werden und so für alle zugänglich sein, die sonst einsam wären. Sie könnten eine ruhige, freundliche Erinnerung an das Leben bieten, begleitet von Musik, Bildern und Botschaften, die wir einst für wichtig hielten.
Aber eine Gesellschaft, die den Tod in die Hände von Maschinen legt, muss auch akzeptieren, dass viele eine solche Distanzierung bedauern werden. Denn wir ziehen uns mehr und mehr in eine digitale Welt zurück und lassen reale Begegnungen hinter uns. Die Maschine wird uns vorgaukeln, wir hätten die Empathie, die uns dann fehlt, und dieser kalte Austausch könnte eine Tragödie bergen, die wir uns noch gar nicht vorstellen können.
Aber das birgt auch eine Chance in sich: Die KI könnte eine Art Spiegel sein, in dem wir uns selbst erkennen – vielleicht kann ihre Kälte uns daran erinnern, wie wichtig echte Wärme ist. Wer weiß? Vielleicht ist das die neue Herausforderung, die es zu meistern gilt.
Superhelden der Zukunft: KI als Begleiter in der Endphase
Für meine Arbeit mit „Superheroes fly ahead“ – meiner Initiative für junge Sterbende – habe ich viel von den jungen Menschen gelernt, die als „unheilbar“ diagnostiziert worden sind. Sie sind die Vorreiter, die Superhelden, die uns viel zu früh verlassen und denen ein langes Leben verwehrt bleibt. Diese Menschen haben mir gezeigt, dass es beim Sterben nicht um Drama oder Beileidsbekundungen geht.
Die Sterbenden brauchen keine Beileidsbekundungen, sondern Menschen, die ihnen auf Augenhöhe begegnen, die bereit sind, wirklich zuzuhören. Was aber, wenn die, die da sind, genau das nicht tun können? Was, wenn die Gesellschaft einfach nicht bereit ist, sich dem Sterben zu stellen?
In solchen Momenten denke ich, dass die Arbeit mit KI kein Ersatz sein muss, sondern eine Möglichkeit, etwas zu ergänzen. Sie könnte einen Raum schaffen, in dem es keine Vorurteile, keine Berührungsängste gibt. Sie könnte den Prozess entschleunigen, Erinnerungen wachrufen
und dem Sterbenden ein stiller, respektvoller Begleiter sein. Die KI könnte sogar so programmiert werden, dass sie für jeden Patienten ein einzigartiges, individuelles Erlebnis schafft – denn sie arbeitet ohne die Ängste und Scham des Menschen, sondern passt sich einfach an die Bedürfnisse ihres Gegenübers an.
Brauchen wir eine neue Perspektive auf das Sterben?
Ja, und zwar dringend. Wir sehen Sterben und Tod immer noch als isolierte, traurige Angelegenheiten. Aber das ist nur ein Bruchteil dessen, was der Tod uns lehren kann. Viele sterbende Menschen, die ich kennenlernen durfte, haben mir gezeigt, wie wenig Bedeutung Oberflächlichkeiten am Ende haben. Sie brauchen keinen Instagram-Feed, der ihre „letzten Momente“ zeigt, sondern einen Raum, der sie in ihrem letzten Lebensabschnitt unterstützt.
Wenn wir KI so verstehen, dass sie diese Rolle übernehmen kann, dann sehe ich ein enormes Potenzial. Natürlich könnte man sagen, dass eine KI nicht in der Lage ist, ein sterbender Mensch in seiner einzigartigen Art und Weise zu sein. Aber, ehrlich gesagt, wie viele Menschen können das überhaupt? Wenn wir also an einer neuen Perspektive arbeiten wollen, dann sollten wir KI als ein Werkzeug sehen – ein Werkzeug, das uns hilft, das Sterben zu gestalten. Ein Werkzeug, das eine Art tröstender Begleiter für diejenigen sein könnte, die keine menschliche Unterstützung haben. Ein Werkzeug, das uns eine Brücke baut, bis wir als Gesellschaft endlich bereit sind, selbst Verantwortung zu übernehmen.
Die Wahrheit ist, dass wir als Gesellschaft einen schweren Mangel an Empathie, Mut und Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit dem Tod haben. Wir brauchen keine glatten Worte und auswendig gelernte Beileidsbekundungen. Wir brauchen echte Nähe. Wir brauchen den Willen, hinzusehen. Da wir uns aber auch heute noch weigern, diesen Weg zu gehen, kann eine künstliche Intelligenz die Trauerarbeit übernehmen.